Fristenversäumnis bei Vertragskündigung

Geschäftszahl
7Ob210/03p

Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Hanno Hofmann, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei G***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert EUR 35.000), über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: EUR 17.500) gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 15. Mai 2003, GZ 6 R 54/03p-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 23. Jänner 2003, GZ 23 C 282/02f-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:


Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben. Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text
Entscheidungsgründe: Die Klägerin schloss bei der Beklagten als führender Versicherung zur Polizze Nr: ***** (vorher: *****) vom 29. 6. 1999 eine Maschinenversicherung mit einer Gesamtversicherungssumme von EUR 19,628.278,45 und zur Polizze Nr: ***** (vorher: *****) vom 14. 11.2000 eine Maschinenunterbrechungsversicherung mit einer Gesamtversicherungssumme von EUR 5,668.481,07 ab. Als Versicherungsdauer war die Zeit vom 1. 1. 1999 bis 1. 1. 2007 und weiters vereinbart, dass der Versicherungsnehmer berechtigt ist, den Versicherungsvertrag jährlich zum Ende des Versicherungsjahres mit 3-monatiger Kündigungsfrist zu kündigen, und dass auf die Rückrechnung des bis dahin gewährten Dauerrabattes verzichtet wird.
Außerdem war unter dem Titel "Kündigungsrecht im Schadensfall" folgendes vereinbart:
Nach Eintritt des Schadensfalles können sowohl der Versicherer als auch der Versicherungsnehmer den Versicherungsvertrag kündigen. Die Kündigung ist jederzeit jedoch nur bis zum Ablauf eines Monats seit Abschluss der Verhandlungen über die Entschädigung zulässig. Der Versicherer hat eine Kündigungsfrist von 6 Monaten einzuhalten und die Vertragsauflösung durch ihn kann frühestens zur nächsten Hauptfälligkeit des Vertrages erfolgen. Erfolgt eine Auflösung des Vertrages während der Versicherungsperiode so gebührt dem Versicherer die Prämie für die bis dahin verstrichene Vertragslaufzeit. Die Abrechnung der Prämie erfolgt "pro rata temporis". Während des Versicherungsverhältnisses traten mehrere Schadensfälle ein, die abzuwickeln sind/waren. Es gab auch einen Schadensfall, den die Beklagte an sich fristgerecht (innerhalb eines Monats ab Abschluss der Verhandlungen über die Entschädigung) für die streitgegenständliche Kündigung zum Anlass nahm. Die Beklagte kündigte die vorliegenden Versicherungsverträge mit Schreiben vom 27. 11. 2001 zum 30. 5. 2002, das an die Klägerin "z. Hdn. Hrn. Ing. H*****", adressiert war. Die Hauptfälligkeit der Prämie war nach beiden Versicherungsverträgen jeweils der 1. Jänner.
Die Klägerin begehrte die urteilsmäßige Feststellung, dass die genannten, jeweils zwischen ihr und der Beklagten als führendem Versicherer abgeschlossen Versicherungen aufrecht bestehen. Die Kündigung zum 30. 5. 2002, die nicht an die Geschäftsanschrift der Klägerin laut Polizze adressiert war und dieser erst am 3. 12. 2002 zuging, sei vereinbarungswidrig erfolgt und daher ungültig; die Beklagte habe nämlich weder die 6-monatige Kündigungsfrist noch den Kündigungstermin (zur Hauptfälligkeit am 1. Jänner) eingehalten. Außerdem seien die Versicherungsprämien bis Ende Juni 2002 weiterhin von der Beklagten eingezogen worden, weshalb die beiden Versicherungsverhältnisse jedenfalls weiter bestünden. Die Beklagte beantragte Klagsabweisung. Sie wendete - soweit im Revisionsverfahren noch aufrecht erhalten (vgl ON 14 Punkt 2. = AS 109) - ein, selbst wenn die Rechtsansicht der Klägerin richtig sein sollte, würde die ausgesprochene (frist- oder terminwidrige) Kündigung zur nächsten Hauptfälligkeit wirken. Das Erstgericht stellte - unangefochten - fest, dass die gegenständlichen Versicherungen bis 31. 12. 2002 aufrecht bestanden und wies das Feststellungsmehrbegehren, dass sie seit dem 1. 1. 2003 noch aufrecht bestehen, ab. Die Beklagte habe weder die Kündigungsfrist noch den Kündigungstermin eingehalten aber eindeutig zu verstehen gegeben, dass sie an einer Aufrechterhaltung der Versicherung zu den feststehenden Bedingungen kein Interesse mehr habe; dies sei der Klägerin auch klar gewesen. Dem Konversionsprinzip folgend müsse die der Klägerin am 3. 12. 2001 zugegangene Kündigung unter Wahrung von Kündigungsfrist und -termin in eine Kündigung zum 30. 12. 2002 umgedeutet werden, welche die Versicherungsverhältnisse zu diesem Zeitpunkt zur Auflösung gebracht habe. Mit dem angefochtenen Urteil bestätigte das nur von der Klägerin angerufene Berufungsgericht diese Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 4.000, nicht jedoch EUR 20.000 übersteige, und die Revision zulässig sei.

Das Gericht zweiter Instanz verwies gemäß § 500a ZPO auf die Richtigkeit der Begründung des Ersturteils und trat – den grundsätzlichen Ausführungen von Schauer (Österr Versicherungsvertragsrecht³, 300), Prölss (in Prölss/Martin VVG26 Rn 8 ff zu § 8 VVG) und Gruber (in Honsell, Berliner Kommentar, Rn 36 zu § 8 VVG) folgend - der Beurteilung des Erstgerichtes bei, dass eine Umdeutung nicht nur bei einer Kündigung durch den Versicherungsnehmer sondern auch bei einer Kündigung durch den Versicherer möglich sei, da dem Versicherten durch Beachtung von Kündigungsfrist und –termin infolge der Umdeutung doch die vereinbarte Zeit für Dispositionen zur Gewährleistung eines ununterbrochenen Versicherungsschutzes zur Verfügung stehe; "dies", weil es sich bei der Klägerin um einen Vollkaufmann handle. Außerdem habe die Beklagte eindeutig zu verstehen gegeben, dass sie an einer Aufrechterhaltung der Versicherung zu den feststehenden Bedingungen kein Interesse mehr habe, was der Klägerin zum Zeitpunkt des Zugehens des Kündigungsschreibens klar gewesen sei, weil offenbar auch ihre Rechtsfreunde im Schreiben vom 20. 12. 2001 keinen Formfehler bemängelt hätten. Die Beklagte habe das Versicherungsverhältnis daher mit 30. 12. 2002 zur Auflösung gebracht. Den Zulässigkeitsausspruch betreffend die ordentliche Revision begründete das Berufungsgericht damit, dass - soweit überblickbar - zur Umdeutung unzulässiger Kündigungen lediglich zu Kündigungen durch den Versicherungsnehmer, nicht jedoch durch den Versicherer Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes vorlägen. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, die die "unrichtige Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung" geltend macht und beantragt, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte beantragt die Revision zurückzuweisen, in eventu dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtssatz
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt. Die Revisionswerberin macht geltend, dass ein "derartig unzulässiger, verspäteter und irreführender Kündigungsversuch" weder nach österreichischem noch nach deutschem Recht eine Auflösung des Versicherungsvertrages bewirken könne. Dem hält die Revisionsbeantwortung entgegen, die Grundsätze des § 140 BGB seien von Lehre und Rsp (mangels entgegenstehender österr Regelung) sinngemäß umgesetzt worden; sie hätten im Rechtsvergleich zwischen österreichischer und deutscher Rechtslage sowohl für die verspätete (frist/terminwidrige) als auch für die unzulässige außerordentliche (insb fristlose) Kündigung Geltung, wobei vor allem der (hier eindeutig zum Ausdruck kommende) Wille des auflösenden Vertragspartners, das Vertragsverhältnis jedenfalls beenden zu wollen, maßgebend sei [so insb Prölss/Martin VVG26 182 f Rn 8 zu § 8 VVG mwN].
Richtig ist, dass das Problem der Umdeutung für den deutschen Rechtsbereich in § 140 BGB ausdrücklich geregelt wird. Das ABGB enthält zwar keine vergleichbare Bestimmung, doch ist die Rechtsfigur im österreichischen Recht entsprechend der deutschen Regelung anerkannt (SZ 69/85 mwN; unter Hinweis auf Martin Binder, Zur Konversion von Rechtsgeschäften; Koziol/Welser I12 172 f): Eine Konversion setzt voraus, dass die von den Vertragsparteien abgegebenen Erklärungen zwar nicht die Voraussetzungen des von ihnen angestrebten, in Wahrheit jedoch nichtigen Geschäftes, wohl aber die Voraussetzungen eines anderen, von ihnen nicht beabsichtigten Geschäftes erfüllen. Kann nun angenommen werden, dass ein solches Geschäft dem von den Parteien ins Auge gefassten Zweck eher entspricht als seine Nichtigkeit, so darf es "umgedeutet" werden. Es ist als jenes Geschäft anzusehen, dessen Voraussetzungen es erfüllt (SZ 69/85). Eine Konversion ist hingegen ausgeschlossen, wenn jene Norm, welche die Ungültigkeit des angestrebten Geschäftes verfügt, auch auf das umgedeutete Geschäft anzuwenden ist (RIS-Justiz RS0016467; Koziol/Welser aaO 173). Der hypothetische Parteiwille muss das Ergebnis der Umdeutung decken (RIS-Jusiz RS0017378; ÖBl 1984, 90; SZ 58/12) und die Rechtsfolgen für die Parteien dürfen nach der Umdeutung nicht ungünstiger werden als sie es bei Wirksamkeit des nichtigen Geschäftes gewesen wären (SZ 65/85 mwN). Die Konversion eines - wie hier - fehlerhaften einseitigen Rechtsgeschäftes kann zwar nie zu einem Mehr an Rechtsfolgen, somit zu einer stärkeren Belastung des Erklärungsadressaten führen, als im ursprünglichen Geschäft angestrebt wurde (RIS-Justiz RS0016396; RS0017378; M. Binder aaO 188 f; vgl. auch Mayer-Maly/Busche im Münchner Kommentar BGB4, Rn 15, 29 und 31 zu § 140; Palandt BGB62 Rn 6 zu § 140); die zeitwidrige Kündigung ist jedoch grundsätzlich in eine ordnungsgemäße Kündigung umzudeuten, also rechtlich so zu behandeln ist, als ob sie unter Einhaltung der vorgeschriebenen Frist zum nächstzulässigen Termin ausgesprochen worden wäre (M. Binder aaO 193), wenn dies dem mutmaßlichen, dem Erklärungsempfänger erkennbaren Willen des Kündigenden zum Zeitpunkt der Kündigung entspricht.

Dass diese Voraussetzungen hier erfüllt sind, haben die Vorinstanzen zutreffend begründet. Zur Unterstützung ihres davon abweichenden Standpunktes beruft sich die Revisionswerberin darauf, es müsse, wenn man - mangels österreichischer - schon deutsche Lehre und Rsp heranziehe, auch die Ansicht von Bruck/Möller (VVG8 Anm 29 zu § 8 VVG) berücksichtigt werden, wonach eine auch nur geringfügig verspätet zugegangene Kündigungserklärung, welche dem Empfänger die Kündigungsfrist nicht belasse, nicht ordnungsgemäß und das Schweigen des Empfängers nicht als Annahme einer Vertragsauflösungsofferte zu werten sei. Dabei wird jedoch der nächste Satz der zitierten Belegstelle verschwiegen: Dort vertreten die Genannten nämlich ebenfalls die in der Revision bekämpfte Auffassung, dass sowohl eine verspätete als auch eine unzulässige fristlose Kündigung "im Zweifel auf den nächstzulässigen Termin" wirke (Bruck/Möller aaO). Auch die Vorinstanzen sind von einer derartigen Konversion der vorliegenden unzulässigen Kündigung (Gruber in Honsell, Berliner Kommentar, Rn 36 zu § 8 VVG) ausgegangen und haben - zu Recht - angenommen, dass die Auflösung des gegenständlichen Versicherungsverhältnisses zum nächstmöglichen Kündigungstermin erfolgt sei. Dies entspricht der offenbar herrschenden Auffassung zur Konversion verspäteter Kündigungen im Versicherungsrecht (Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht3, 300; Prölss/Martin VVG26 182 f Rn 8 zu § 8 VVG [wonach es auf den "mutmaßlichen Willen" des Kündigenden zum Zeitpunkt der Kündigung ankommt]; vgl auch die in § 15 Abs 4 KSchG bei Verbraucherveträgen über wiederkehrende Leistungen angeordnete Konversion nicht fristgerechter Kündigungen, die jedenfalls dann in Kündigungen zum nächstmöglichen Termin umzudeuten sind, wenn ihnen der Wille des Kündigenden, den Vertrag auf jeden Fall aufzulösen, zu entnehmen ist [Koziol/Welser I12 173]). Entgegen dem Standpunkt der Revision hat die somit zulässigerweise zum nächsten Termin ausgesprochene Kündigung als einseitige Willenserklärung des Versicherers den Versicherungsvertrag auch dann beendet, wenn sie der Empfänger zu Unrecht zurückwies (Schauer aaO 300). Eine weitere Auseinandersetzung mit der in der Revision angesprochenen, von der Lehre zT kritisch beurteilten sog Zurückweisungspflicht des Versicherers (also der nach österr und deutscher Judikatur bestehenden Verpflichtung mangelhafte Kündigungen des Versicherten unverzüglich zurückzuweisen, widrigenfalls sich der Versicherer so behandeln lassen muss, als wäre der Versicherungsvertrag wirksam gekündigt worden: RIS-Justiz RS0013443 [T2, T5]; RS0080729; zuletzt: 7 Ob 97/01t; Gruber in Honsell aaO Rz 48 ff zu § 8 VVG; jüngst: Grassl-Palten, Das Bild des Maklers in der Judikatur, VR 2003, 135 [138 f] mwN in FN 16), hat hier aber auch deshalb zu unterbleiben, weil nicht über eine derartige Kündigung sondern über eine solche des Versicherers zu entscheiden ist. Die Revision muss daher erfolglos bleiben. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40 und 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat für die Revisionsbeantwortung keine Kosten verzeichnet.

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