Leitungswasser - Begriff "Baulichkeit" - Obliegenheitsverletzung

Geschäftszahl
7Ob82/03i

Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr. Erich Kafka und andere, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei V*****, vertreten durch Dr. Manfred Steininger, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 27.492,13 sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 27. Jänner 2003, GZ 2 R 242/02a-18, den Beschluss gefasst:


Spruch
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).


Text
Begründung: Am 30. 12. 1999 kam es in einer im zweiten Obergeschoss gelegenen und (wegen einer beabsichtigten Sanierung) leerstehenden Wohnung eines (mehrere Wohneinheiten umfassenden) Hauses in K***** durch Auffrieren der Wasserleitung zu einem bis ins Erdgeschoss durchschlagenden Wasserschaden, den die klagende Partei als Haftpflichtversicherer der von der Hauseigentümerin bestellten Hausverwalterin in Höhe von S 360.000 (EUR 26.126,22) ersetzt hat und nunmehr von der beklagten Partei als Leitungswasserversicherer des Hauses regressiert, wobei sich die Klägerin die Ansprüche der Hauseigentümerin gegen die beklagte Partei im Umfang der erhaltenen Entschädigung auch abtreten ließ. Von der Hausverwalterin war kein Hausmeister bestellt und die Betreuung nur unregelmäßig (fallweise) durch Firmen oder den Hausbesorger einer nahegelegenen Liegenschaft besorgt worden. Dem Versicherungsvertrag mit der beklagten Partei liegen die AWB 1/97 (Allgemeine Bedingungen für Versicherungen gegen Leitungswasserschäden der VAV) zugrunde, deren Art 6 Abs 2 ("Sicherheitsvorschriften") wie folgt lautet: "(2) Der Versicherungsnehmer übernimmt ferner die Verpflichtung, in nicht benutzten und nicht beaufsichtigten Baulichkeiten die Wasserleitungsanlagen und sonstige wasserführende Anlagen abzusperren. Während der möglichen Heizperiode sind zusätzlich sämtliche wasserführenden Leitungen und Anlagen zu entleeren, sofern die Heizung nicht durchgehend in Betrieb gehalten wird. Das gleiche gilt für vorübergehend außer Betrieb gesetzte Anlagen." Nach dem ebenfalls mit "Sicherheitsvorschriften" übertitelten Art 3 der weiters zugrunde liegenden ABS 95 (Allgemeine Bedingungen für die Sachversicherung der VAV) ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, "wenn der Schadenfall nach der Verletzung eintritt und die Verletzung auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers beruht..."
Beide Vorinstanzen wiesen das - auf S 378.300 (EUR 27.492,13) sA gerichtete - Klagebegehren ab. Hiegegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, in welcher als erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO releviert wird, der OGH habe "noch nie entschieden, ob einzelne Wohnungen eines Hauses, wenn diese über einen gesonderten Absperrhahn pro Wohnung verfügen, und das Mehrfamilienhaus nur teilweise benützt wird, im Sinne der Sicherheitsvorschriften des Art 6 AWG als unbeaufsichtigt zu gelten haben oder nicht." Weiters sei der Begriff der “Baulichkeiten" in dieser Versicherungsbedingung falsch ausgelegt und statt nur für das gesamte Haus für eine (einzelne) Wohnung in Anwendung gebracht worden; dies ergebe sich auch aus einem Besprechungsprotokoll des Schadenausschusses im Versicherungsverband, dem die Qualität einer authentischen Interpretation zukomme. Dem Versicherungsnehmer (Hauseigentümer) habe das Berufungsgericht einen zu strengen Haftungsmaßstab zugesonnen; schließlich sei das Berufungsgericht zu Unrecht von einer in Österreich abgelehnten Repräsentantenhaftung ausgegangen.

Rechtssatz
Tatsächlich liegt eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht vor.

a) Die Auslegung von Versicherungsbedingungen hat nach ständiger Rechtsprechung nach Vertragsauslegungsgrundsätzen (§§ 914 ff ABGB) zu erfolgen (RIS-Justiz RS0050063, RS0008901). Die Auslegung des Begriffes "nicht benützte und nicht beaufsichtigte Baulichkeiten" in Art 6 Abs 2 AWB nicht bloß im Sinne des (Gesamt-)Gebäudes (also Hauses), sondern auch der einzelnen darin befindlichen Wohnungen durch das Berufungsgericht ist damit jedenfalls in Einklang zu bringen (anders etwa nach den deutschen Parallelbedingungen, welche die Kontrollpflicht ausdrücklich auf Gebäude bzw Gebäudeteile beziehen: AWB 87 - abgedruckt in Prölss/Martin VersVG26 1067; so auch ausführlich in 7 Ob 33/93). Schon nach dem Zweck dieser mit "Sicherheitsvorschriften" übertitelten Klausel muss klar sein, dass wasserführende Anlagen schlechthin erfasst werden sollen, also gleichermaßen in oder außerhalb einer von derartigen Wasserschäden bedrohten Wohnung (Wohneinheit), weil solche ungeachtet ihrer konkreten Situierung im Gebäude der regelmäßigen auf Schadensverhütung ausgerichteten Kontrolle speziell zur Winterzeit bedürfen und demgemäss auch als "gefährlich" im Sinne des § 1318 ABGB gelten (RIS-Justiz RS0029823; VersE 1653). Dass in einem Sitzungsprotokoll eines Schadenausschusses des Verbandes der Versicherungsunternehmen Österreichs (vom 15. 4. 1991) eine andere (abweichende) Interpretation von den dortigen Sitzungsteilnehmern als "einhellige Meinung" vertreten wurde (Beilage C), kann keineswegs als "authentische Interpretation" (vgl § 8 ABGB) mit Bindungswirkung für Versicherungsnehmer bzw Gerichte gedeutet werden. Dies haben schon die Vorinstanzen somit zutreffend abgelehnt. Da nach den maßgeblichen Feststellungen gegen die Obliegenheit im Sinne der Sicherheitsvorschrift des Art 6 Abs 2 AWB 1/97 verstoßen wurde, haben die Vorinstanzen schon deshalb Leistungsfreiheit der beklagten Partei angenommen und sohin das Klagebegehren zutreffend abgewiesen.

b) Auch wenn das Erfordernis der Beaufsichtigung zur Verhinderung von Frostschäden nicht überspannt werden darf (7 Ob 41/94; RIS-Justiz RS0081648), so ist doch in einer Jahreszeit, in der in unseren geographischen Breiten üblicherweise Frostgefahr besteht, die Gefahr des Einfrierens von Leitungen bei leerstehenden Objekten geradezu evident (Schadensfall am 30. Dezember!). Ob es (typisch einzelfallbezogen und von den singulären Verhältnissen des konkreten Einzelfalles abhängig: 7 Ob 8/99y; 7 Ob 37/01v uva), überdies als grob fahrlässig zu beurteilen wäre, wenn bei einem überwiegend leerstehenden Haus die betreute Hausverwalterin sich damit begnügte, die Überwachung und Betreuung des Objekts nur unregelmäßig (fallweise) durch Firmen oder Hausbesorger umliegender anderer Liegenschaften zu besorgen, kann angesichts der vorstehenden Ausführungen zu a) letztlich dahingestellt bleiben (vgl hiezu etwa Martin, Sachversicherungsrecht3 988 f = Rn 71 ff).

c) Gleiches gilt auch für die Zuordnung dieser Säumigkeit des Hausverwalters auch dem Versicherungsnehmer und Hauseigentümer gegenüber als Organisationsverschulden (und nicht - wie in der Revision behauptet - im Sinne der in Österreich nicht vertretenen Repräsentantenhaftung bei der Verletzungsbeurteilung risikobezogener vertraglicher Sorgfaltspflichten: RIS-Justiz RS0010375, RS0080407; SZ 52/92; VersR 1729). Klarstellend sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Hausverwaltung ihre diesbezügliche Obhutspflicht über die versicherte Sache nicht bloß aufgrund eines tatsächlichen Vertretungsverhältnisses ausübte (so etwa 7 Ob 33/85; insofern Rechtssatzwiedergabe in RIS-Justiz RS0019473 allenfalls missverständlich), sondern aufgrund rechtlicher Gegebenheiten (Vertrag; §§ 19 ff WEG). Schon in der Entscheidung 7 Ob 44/79 hat der Oberste Gerichtshof demgemäss ausgesprochen, dass bei Bestellung eines Dritten durch den Versicherungsnehmer zum bevollmächtigten Vertreter für ein bestimmtes Vertragsverhältnis ein besonderer und selbständiger Zurechnungsgrund vorliegt, der von der bloßen Repräsentanz bei Erfüllung einzelner Obliegenheiten unterschieden werden muss. Dieser Rechtsgedanke schlägt auch hier durch. In diesem Sinne ist daher dem Berufungsgericht auch bei dieser Beurteilung letztlich keine Fehlbeurteilung unterlaufen, welche im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO einer Korrektur bedürfte.

d) Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne der zitierten Gesetzesstelle ist die außerordentliche Revision daher insgesamt als unzulässig zurückzuweisen.

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