Krankenversicherung; Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht

Geschäftszahl
7Ob100/97z

Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Friedrich L*****, vertreten durch Dr.Paul Friedl, Rechtsanwalt in Eibiswald, gegen die beklagte Partei W*****AG, ***** vertreten durch Dr.Schuppich, Sporn und Winischhofer, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 390.834,-- sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz vom 9.Jänner 1997, GZ 3 R 244/96v-41, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 2.September 1996, GZ 16 Cg 84/94x-36, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß gefaßt:

Spruch
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text
Begründung:
Der Kläger leidet seit 1984 an einer nicht ausgeheilten chronischen, postraumatischen Osteomyelitis (Knocheninfektion) im Bereich des linken Vorfußes, die in den Jahren 1984 und 1985 zu einer Abnahme der linken Großzehe und der zweiten Zehe rechts führte.

Der Kläger meldete sich im Frühjahr 1993 als außerordentlicher Präsenzdiener für einen UNO-Einsatz auf den Golan-Höhen und wurde nach ärztlichen Untersuchungen für gesund und tauglich befunden. Am 25.5.1993 wurde ihm von Wolfgang L*****, einem Versicherungsangestellten der beklagten Partei, ein Anbot auf Abschluss einer Krankenversicherung mit Sonderkonditionen für UNO-Soldaten unterbreitet. Der Kläger gab bei der Besprechung der im Antragsformular enthaltenen Fragen betreffend seine Gesundheit an, dass ihm aufgrund einer Osteomyelitis zwei Zehen abgenommen worden seien. Wolfgang L***** trug in das vom Kläger blanko unterfertigte Antragsformular, das er nachträglich ausfüllte, keine Erkrankung des Klägers ein. Am 27.7.1993 zog sich der Kläger bei einem Sturz in Damaskus eine kleine Wunde im Bereich der linken Fußsohle zu, deren Folgen schließlich aufgrund einer kompletten Fußosteomyelitis zu einer Amputation des linken Unterschenkels führte. Hätte der Versicherungsantrag den Begriff Osteomyelitis enthalten, wäre der Abschluss einer Krankheitskosten- und Krankenhaustaggeldversicherung seitens der beklagten Partei abgelehnt worden.

Der Kläger begehrte unter Aufschlüsselung verschiedener Krankenhausaufenthalte und Aufenthalte in einem Rehabilitationszentrum in der Zeit vom 12.8.1993 bis 18.1.1995 insgesamt S 390.834,-- aufgrund des abgeschlossenen Krankenversicherungsvertrages.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendete unter anderem ein, dass sie vom Versicherungsvertrag gemäß § 11 Abs 1 der ihm zugrundeliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten und Krankenhaustagegeldversicherung zurückgetreten sei. Zudem habe sie mit Schreiben vom 8.2.1994 die Kündigung des Vertrages wirksam ausgesprochen. Weiters fechte sie den Vertrag gemäß § 22 VersVG wegen arglistiger Täuschung durch den Kläger an, da dieser seine schwere chronische Erkrankung sowie seine 80 % Invalidität und das ärztliche Verbot, beim Bundesheer als Koch zu arbeiten, verschwiegen habe. Überdies sei die Klagsforderung überhöht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger habe es infolge seiner mangelhaften Darstellung über den Umfang seiner Krankheit gegenüber Wolfgang L***** zu vertreten, dass seine Erkrankung an Osteomyelitis im blanko unterfertigten Antragsformular nicht angeführt worden sei. Die klagende Partei sei daher berechtigt und im übrigen rechtzeitig vom Versicherungsvertrag zurückgetreten.

Das Gericht zweiter Instanz hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil der Rechtsfrage der Wahrung von Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers im Sinn des § 16 Abs 1 VersVG im Falle einer unrichtigen Ausfüllung des seitens des Versicherungsnehmers blanko unterfertigten Antragsformulares durch einen Angestellten des Versicherers erhebliche Bedeutung zukomme.

Rechtssatz
Der Rekurs ist jedoch mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn der §§ 519 Abs 2, 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

Die Ausführungen des Gerichtes zweiter Instanz zu den von ihm als erheblich bezeichneten Fragen entsprechen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Der erkennende Senat hat bereits in seiner vom Gericht zweiter Instanz zitierten und auf den hier vorliegenden Sachverhalt zutreffend herangezogenen Entscheidung SZ 61/177 in einem durchaus vergleichbaren Fall dargelegt, dass der Grundsatz gelte, dass den Versicherungsnehmer kein Verschulden an der teilweise unrichtigen Ausfüllung des Antragsformulars durch einen Angestellten des Versicherers treffe, wenn er diesem mündlich die richtigen Auskünfte erteilt hat. Die Ausführungen im Rekurs, dass die Vorinstanzen keine

eindeutigen Feststellungen darüber getroffen hätten, ob Wolfgang L***** als Angestellter der beklagten Partei oder als Agent tätig geworden sei, sind aktenwidrig, weil das Erstgericht unbekämpft festgestellt hat, dass Wolfgang L***** als Versicherungsangestellter der beklagten Partei bei den für den UNO-Einsatz vorgesehenen Soldaten erschien. Wie in dem in der zitierten Entscheidung SZ 61/177 zugrundeliegenden Fall ist auch im hier vorliegenden Fall das unrichtige, der Information durch den Versicherungsnehmer entgegenstehende Ausfüllen des Antragsformulares hinsichtlich einer bestehenden Vorerkrankung durch den Angestellten des Versicherers nicht dem Versicherungsnehmer zuzurechnen.

Der Kläger hat gegenüber Wolfgang L***** seine Erkrankung mit der zutreffenden medizinischen Bezeichnung genannt. Die beklagte Partei hätte den Vertragsabschluß, wäre dieser Name der Erkrankung im Antrag aufgeschienen, abgelehnt, ohne dass weitere Angaben über den bisherigen Krankheitsverlauf und die bisherigen Auswirkungen der Erkrankung eingeholt worden wären. Entgegen den Ausführungen der Berufung hat bereits das Erstgericht festgestellt, dass der Verlauf einer Osteomyelitis nahezu immer chronisch ist, sodass der Hinweis des Gerichtes zweiter Instanz auf diese Feststellung weder aktenwidrig ist noch auf mangelhafter Grundlage beruht. Da auch Wolfgang L***** nicht weiter nachfragte, um welche Art der Erkrankung es sich hiebei handelt und welche Auswirkungen die Erkrankung bisher hatte, sondern im Gegenteil die diesbezügliche Information des Klägers damit kommentierte, dass die Osteomyelitis "im Hinblick auf seinen Versicherungantrag nichts ausmachen würde, zumal der Kläger entsprechend den militärärztlichen Untersuchungsergebnissen als gesund bzw tauglich eingestuft worden sei", kann ein Rechtsirrtum des Gerichtes zweiter Instanz, dass den Kläger kein Verschulden am Verschweigen seiner Invalidität, der bisherigen Behandlungen und seines Berufsverbotes als Koch treffe, nicht erblickt werden.

Umsoweniger bestehen Anhaltspunkte für eine zur Vertragsanfechtung berechtigende arglistige Täuschung gemäß § 22 VersVG. Ob oder warum der Kläger seine Erkrankung bei der militärärztlichen Untersuchung nicht angab, hat auf die Frage der Berechtigung zum Rücktritt vom Vertrag oder zu dessen Anfechtung keinen Einfluss.

Die Frage, inwieweit ein Teil der Ansprüche allenfalls durch die von der beklagten Partei behauptete Kündigung erloschen ist, wurde vom Berufungsgericht nicht abschließend beurteilt, sondern wird im Sinn der - auch zur Frage der Anspruchshöhe - aufhebenden Entscheidung im weiteren Verfahren auf verbreiteter Entscheidungsgrundlage zu klären sein.

Gemäß den § 41 und 50 ZPO hat der Kläger die Kosten seiner Rekursbeantwortung selbst zu tragen, weil darin auf die Unzulässigkeit des Rekurses nicht hingewiesen wurde.

Anmerkung
E46980
07A01007
Dokumentnummer
JJT/19970723/OGH0002/0070OB00100/97Z0000/000

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