Geschäftszahl
7Ob36/06d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Thomas H*****, vertreten durch Mag. Lothar Korn, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei G***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert: EUR 5.000), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 24. November 2005, GZ 15 R 161/05k-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 4. März 2005, GZ 13 Cg 2190/04s-9, bestätigt wurde, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung: Der Kläger erlitt am 11. 7. 2003 gegen 23.00 Uhr in ***** R*****,G***** Landesstraße bei Straßenkilometer 29,84 als Beifahrer auf dem von ihm gehaltenen Motorrad mit dem Kennzeichen U***** einen Verkehrsunfall. Das Motorfahrrad war hiebei mit Zustimmung des Klägers von Hubert K***** gelenkt worden. Bei diesem wurde nach dem Verkehrsunfall eine Alkomatuntersuchung durchgeführt, die einen Alkoholgehalt der Atemluft von 0,39 mg/l ergab. Deswegen wurde Hubert K***** von der Bezirkshauptmannschaft U***** gemäß §§ 37a iVm 14 Abs 8 FSG rechtskräftig bestraft. Der Stiefvater des Klägers hatte im Unfallszeitpunkt bei der Beklagten zu Polizzen-Nummer ***** eine Fahrzeugrechtschutzversicherung abgeschlossen. Diesem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung der Beklagten 1999 (ARB/GEN 99) zugrunde. Im Rahmen dieser Rechtsschutzversicherung sind der Kläger und das von ihm gehaltene, beim Verkehrsunfall beschädigte Motorfahrrad mitversichert. Der Kläger beabsichtigt, gegen die KFZ-Haftpflichtversicherung seines Motorfahrrades (I***** Versicherungs-AG) Schadenersatzansprüche (insbesondere Schmerzengeld und Fahrtkosten) zu erheben. Mit Schreiben vom 6. 5. 2004 lehnte die Beklagte jedoch die [Rechtsschutz-]Deckung für diesen Versicherungsfall ab. Leistungsfreiheit sei gegeben, weil sich der Lenker des Motorfahrrades im Zeitpunkt des Versicherungsfalles in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe, worüber auch eine rechtskräftige Entscheidung der Bezirkshauptmannschaft U***** vorliege, in welcher diese Tatsache rechtskräftig festgestellt worden sei. Art 18 Punkt 4 der dem Versicherungsvertrag (zwischen der beklagten Versicherung und dem Vater des mitversicherten Klägers) zugrundeliegenden Allgemeinen Bedingungen für die Rechtschutzversicherung der Beklagten (ARB/GEN 99) lautet: „Wann entfällt der Versicherungsschutz?
4.1. Als Obliegenheiten, deren Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers bewirkt, gelten ...
4.1.2. Dass der Lenker sich im Zeitpunkt des Versicherungsfalles nicht in einem durch Alkohol, Suchtgift oder Medikamentenmissbrauch beeinträchtigten Zustand befindet. ...
4.2. Leistungsfreiheit wegen Verletzungen der Obliegenheiten nach den Punkten 4.1.2. und 4.1.3. besteht nur dann, wenn der angeführte Umstand im Spruch oder in der Begründung einer im Zusammenhang mit dem Versicherungsfall ergangenen rechtskräftigen Entscheidung eines Gerichtes oder einer Verwaltungsbehörde festgestellt worden ist."
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten als Rechtschutzversicherer für sein Motorfahrrad zur Geltendmachung seiner Schadenersatzansprüche aus seinem [als Beifahrer erlittenen] Verkehrsunfall vom 11. 7. 2003 gegen den Haftpflichtversicherer dieses Fahrzeuges. Eine Alkoholisierung des Lenkers von unter 0,8 Promille stelle unter Berücksichtigung des § 5 Abs 1a StVO keine zur Leistungsfreiheit führende Obliegenheitsverletzung dar. Außerdem habe der Kläger die geringfügige Alkoholisierung des Lenkers nicht gekannt und auch nicht erkennen können. Die Beklagte wendet Leistungsfreiheit gemäß Art 18.4. ARB/GEN 99 ein. Der Fahrzeuglenker habe sich zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles in einem „durch Alkohol beeinträchtigten Zustand" befunden. Hierzu zähle auch ein Alkoholgenuss unter der 0,8 Promillegrenze. Durch ein den Lenker verurteilendes Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft (kurz: BH) Urfahr-Umgebung sei dessen Alkoholisierung in einer die Leistungspflicht der Beklagten „zufolge Verletzung der einschlägigen Obliegenheit ausschließenden Weise" ausreichend festgestellt. Da dem Kläger die Alkoholbeeinträchtigung nicht habe verborgen bleiben können, habe er sich die zitierte Obliegenheitsverletzung „als eigene" anrechnen zu lassen. Unbekämpft festgestellt ist, dass über den Fahrer mit rechtskräftigem Straferkenntnis der BH Urfahr-Umgebung vom 24. 9. 2003 wegen Verletzung der Vorschriften des § 37a iVm § 14 Abs 8 FSG eine Geldstrafe von EUR 500 verhängt wurde, weil er am 11. 7. 2003 um 23 Uhr das Motorfahrrad mit einem Atemluftalkoholgehalt 0,39 mg/l lenkte.
Feststellungen zu einer die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigenden Alkoholisierung des Lenkers im Sinne einer Übertretung nach § 5 Abs 1 iVm § 5 Abs 1a StVO bzw § 99 Abs 1b StVO (und damit auch zu einer allfälligen Kenntnis des Klägers von einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand des Lenkers) haben die Tatsacheninstanzen hingegen nicht getroffen. Das Erstgericht verneinte die Leistungsfreiheit der Beklagten und gab dem Klagebegehren statt. Im zitierten Straferkenntnis sei nur festgestellt, dass Hubert K***** das Motorfahrrad mit einem Atemluftgehalt von 0,39 mg/l gelenkt habe, nicht jedoch, dass er sich hiebei in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe. Schon deshalb könne sich die Beklagte nicht auf Leistungsfreiheit berufen. Wenn beim Lenker der Alkoholgehalt des Blutes 0,5 Promille oder darüber, oder der Alkoholgehalt der Atemluft 0,25 mg/l oder mehr betrage, werde durch § 14 Abs 8 FSG zwar das Lenken und die Inbetriebnahme eines Kfz verboten und gemäß § 37a FSG mit einer Verwaltungsstrafe sanktioniert; durch § 14 Abs 8 FSG werde jedoch - anders als durch § 5 Abs 1 StVO - nicht unwiderlegbar bestimmt, dass bei einem Alkoholgehalt des Blutes von 0,5 Promille oder darüber, oder bei einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,25 mg/l oder mehr, der Zustand einer Person jedenfalls vom Alkohol beeinträchtigt gelte und daher alle verwaltungsstrafrechtlichen, führerscheinrechtlichen, straf- und zivilrechtlichen Sanktionen ausgelöst werden. Bei einem Alkoholgehalt des Blutes von 0,5 Promille könne zwar nach der körperlichen und geistigen Verfassung des Lenkers relative Fahruntüchtigkeit vorliegen; in diesem Fall würden auch die in anderen Gesetzen an die Beeinträchtigung durch Alkohol geknüpften zivil- oder strafrechtlichen Rechtswirkungen eintreten. Der Eintritt dieser Rechtswirkungen erfolge im Bereich des Blutalkoholgehalts zwischen 0,5 und 0,79 Promille bzw bei einem Alkoholgehalt der Atemluft im Bereich von 0,25 mg/l bis 0,39 mg/l ohne Vorliegen der relativen Fahruntüchtigkeit aber nur beim dritten oder häufigeren Verstoß gegen § 14 Abs 8 FSG innerhalb eines Zeitraumes von 12 Monaten ab dem ersten Verstoß (§ 5 Abs 1a StVO [zu allem: Pürstl/Somereder, StVO11 §§ 5-5b Anm 6 f]. Diese relative Fahruntüchtigkeit sei im vorliegenden Straferkenntnis aber gerade nicht festgestellt, sodass sich die Beklagte nicht erfolgreich auf eine Leistungsfreiheit im Sinne des zitierten Artikels der ARB/GEN 99 berufen könne. Weiterer Feststellungen zu einer allfälligen Alkoholbeeinträchtigung des Lenkers und zu deren Erkennbarkeit für den Kläger bedürfe es daher nicht.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Leistungsfreiheit des Versicherers nach dem genannten Artikel der ARB/GEN 99 bestehe nur dann, wenn sich der Lenker in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe und diese Beeinträchtigung durch das Erkenntnis eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde festgestellt worden sei. Dass der Lenker „nur" nach § 37a iVm § 14 Abs 8 FSG bestraft worden sei, bedeute, dass die Verwaltungsbehörde eben davon ausgegangen sei, dass keine Beeinträchtigung durch Alkohol vorgelegen sei; andernfalls wäre der Fahrer nach § 99 [Abs 1b] StVO und nicht nach § 37a FSG zu bestrafen gewesen. Lediglich wenn ein Lenker innerhalb eines Zeitraumes von 12 Monaten dreimal oder häufiger gegen § 14 Abs 8 FSG verstoße, wäre kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung durch § 5 Abs 1a StVO im Bereich des Zivilrechts von einer Beeinträchtigung durch Alkohol auszugehen. Das Erstgericht habe daher mangels Leistungsfreiheit des Rechtsschutzversicherers zu Recht festgestellt, dass die Beklagte Deckung zu gewähren habe.
Die Revision sei zulässig, weil zu den „hier zu beantwortenden" Rechtsfragen, denen eine weit über den Anlassfall hinausgehende Bedeutung zukomme, bisher noch keine oberstgerichtliche Judikatur vorliege. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinne abzuändern; hilfsweise wird die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung unter Zurückverweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht, in eventu an das Erstgericht begehrt. Der Kläger beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.